Immer wieder kommen neue Details zur Geschichte der einstigen Zementfabrik Lägern zu Tage; aktuell die Geschichte einer Münze. Ganz offensichtlich handelte es sich um Fabrikgeld, mit dem die Fabrik ihren Arbeitern den Lohn auszahlte.
Ein aufmerksamer Beobachter hat eine interessante Münze gefunden: Die Vorderseite zeigt eine «5», auf der Rückseite ist «Lägern» eingeprägt. Gefunden hat er die Münze auf dem ehemaligen Areal der Zementfabrik «Lägern», die von 1892 bis 1902 in Oberehrendingen bestanden hatte und bis zu 400 Arbeiter beschäftigte.
Es gibt zwar keine schriftlichen Angaben zu diesen Münzen, aber ganz offensichtlich handelt es sich um Fabrikgeld, also Geld, das die Fabrik selber herausgegeben hat und mit dem die Fabrik ganz oder teilweise ihren Arbeitern den Lohn auszahlte.
Dieses System war im 19. Jahrhundert weit verbreitet in der Industrie, insofern also keine Besonderheit dieser Fabrik. Diese Form der Auszahlung wurde Trucksystem genannt (von Englisch to truck, «eintauschen»). Das System war allerdings stark umstritten. Denn mit diesem Geld konnte natürlich nur in den fabrikeigenen Läden eingekauft werden. So besass auch die Zementfabrik Lägern eine eigene Kantine, wobei Kantinen nicht nur Esslokale, sondern oftmals auch Einkaufsläden waren.
Im übrigen Dorf konnte man mit diesem Geld nicht bezahlen, es war ja kein offizielles Zahlungsmittel. Deshalb wehrten sich nicht nur die Gewerkschaften in ganz Europa vehement gegen dieses Trucksystem und verlangten, dass der Lohn in normalem Geld ausbezahlt werde, damit der Arbeiter frei sei in der Verwendung.
Auch bürgerliche Kreise waren gegen dieses exklusive Zahlungsmittel, denn es benachteiligte das lokale Gewerbe in den Städten und Dörfern, etwa die Gaststätten und Läden massiv. Das Trucksystem kam in den Parlamenten vieler Länder Europas immer wieder zur Sprache und wurde schliesslich verboten; so auch 1877 in der Schweiz. Das Verbot galt aber nur für Fabriken, also wohl nicht in der Stein- oder Bergindustrie.
Man könnte einwenden, dass das Trucksystem nicht zwingend zum Nachteil der Arbeiter sein müsste, da es – ähnlich wie die heutigen Lunch-Checks – auch zu vergünstigten Preisen für die Arbeiter führen könnte. Für die Fabrik in Ehrendingen lässt sich das nicht klären, aber die Berichte aus vielen Ländern zeigen das andere Bild: Dass zum Teil massiv überhöhte Preise bezahlt werden mussten. Die Arbeiter hatten keine andere Wahl, da sie mit diesem Lohngeld ja nur intern einkaufen konnten.
Im Falle von Ehrendingen war es wohl nicht ganz so einengend, denn es gibt Berichte, dass sich die Arbeiter auch in den Gaststätten des Dorfes, zum Beispiel im Gasthof Engel, aufgehalten haben. Zudem gab es ja die weiteren, in der Zeit der Zementfabrik erbauten Gaststätten Frohburg, Eintracht und Frohsinn.
Interessant ist es, in diesem Zusammenhang die damaligen Preise zu betrachten: Der Lohn eines Arbeiters betrug etwa 2.70 Franken pro Tag bei 11-stündiger Arbeit; also etwa 0.25 Franken pro Stunde. Das Essen in der Kantine kostete 20 Rappen für das Morgenessen, 65 Rappen für das Mittagessen und 20 Rappen für das Abendessen, total 1.05 Franken – also fast die Hälfte des Tageslohnes; unvergleichlich mit heutigen Verhältnissen. Das Bier kostete 20 Rappen.