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Die jeweils letzten Bäckereien in Erlinsbach SO und Küttigen müssen schliessen. Sie konnten sich nicht gegen den Konsumwandel behaupten.
Einst war es das einzige Geschäft der Region, das am Sonntag geöffnet hatte: Die Bäckerei Leuenberger in Erlinsbach SO. Nun steht das 142-jährige Traditionsgeschäft, das seit 25 Jahren von Susanne und Thomas Leuenberger geführt wird, vor der Schliessung.
Gemäss Thomas Leuenberger kaufen die Konsumenten heute viel mobiler ein, «dort wo sie gerade sind», besorgen ihre Backwaren direkt auf dem Arbeits- oder Nachhauseweg, bei einem Grossverteiler oder an einer Tankstelle.
Mit der gestiegenen Mobilität ist auch die Anzahl Konkurrenten grösser geworden, beim Fall der Bäckerei Leuenberger speziell auch, was den Sonntagsverkauft betrifft: Lebensmittelläden an Bahnhöfen und Tankstellenshops verkaufen ihre Aufbackbrote inzwischen auch sonntags.
Das Nachsehen hat der kleine, lokale Beck, der zwar frische Qualitätsware anbietet, aber kaum eine grössere und konstante Absatzmenge erreicht. Die höhere Mobilität der Kunden generiere «riesige Schwankungen», sagt Thomas Leuenberger. «Wir können heute kaum einplanen, wie viel wir produzieren müssen.»
Auch das Qualitätsbewusstsein der Kunden existiere zwar noch, habe aber sehr abgenommen. Viele Konsumenten hätten den Eindruck, ein warmes Brötchen sei automatisch auch ein frisches. Warme Aufbackware von einem Grosshändler werde so fälschlicherweise als frisch gebacken empfunden. Verlieren tun die kleinen, nichtindustriellen Backstuben.
Bei der Erlinsbacher Bäckerei Leuenberger kommt noch erschwerend hinzu, dass die Infrastruktur veraltet und sanierungsbedürftig ist. 500'000 Franken Investitionsbedarf stünde dort gemäss Thomas Leuenberger an.
Konkret sei der Ofen nun fast 50-jährig und die Kühlgeräte, die die Leuenbergers bei der Übernahme des Ladens vor 25 Jahren einbauen liessen, hätten ihre Lebensdauer von rund 20 Jahren überschritten. Zudem müsste der gesamte Boden der Backstube ersetzt werden.
Der bevorstehende Rückzug im nächsten Frühling kam also quasi vorangekündigt, wie Thomas Leuenberger sagt. «Wir werden nächstes Jahr 56, bis zur Pensionierung fehlen nur noch 8 oder 9 Jahre.» Die beiden Kinder, ebenfalls gelernte Bäcker, könnten das Geschäft nicht übernehmen. Die Tochter stecke gerade in der Familienplanung und der Sohn müsse sich wegen einer Mehlallergie umschulen lassen.
Es sei auch schwierig geworden, für die nötige Renovierung Darlehen zu erhalten. «Die Banken helfen nicht mehr. Sie sind heute sehr zurückhaltend mit allem, was mit Lebensmitteln zu tun hat», sagt Leuenberger. Einen Nachfolger für die Bäckerei hätten sie lange gesucht, aber nicht gefunden.
Damit schliesst am 23. Mai 2020 in Erlinsbach SO die letzte Backstube, die noch vor Ort selbst produziert – nebst Brotwaren auch Konditoreiprodukte oder Lebensmittel wie Offenkäse. Der zur Bäckerei Leuenberger dazugehörende Laden «Prima» wird durch einen Volg ersetzt.
Nach der Schliessung wollen Thomas und Susanne Leuenberger ans Nordkap reisen, danach suche er sich eine Anstellung mit möglichst normalen Arbeitszeiten. «Ich stehe heute jeden Tag 12 bis 15 Stunden in der Backstube», sagt er. Die Lebensqualität der heutigen Bäcker sei zunehmend niedrig, das Privatleben sehr begrenzt.
An der hohen Arbeitsbelastung scheiterte schliesslich Hans Leutwyler, der vor erst drei Jahren die 138-jährige Bäckerei Steiner an der Küttiger Hauptstrasse übernommen und dort eine zweite Filiale seiner Bäckerei-Konditorei-Confiserie eröffnet hat. Das Hauptgeschäft gründeten er und seine Ehefrau Silvia 1996 in der Zofinger Altstadt.
Der noch junge Bäckermeister und Künstler brachte frischen Wind und moderne Ansätze nach Küttigen. An der Swiss Baker Trophy – einem Qualitätswettbewerb unter handwerklich hergestellten Bäckerei-Konditorei-Confiserie-Produkten – gewannen die Leutwylers über Jahre mehrere Preise, 2018 war ihr Geschäft gar das meistprämierte des Kantons.
Die Doppelbelastung mit zwei Lokalen wurde ihnen aber offenbar zu viel. Weil kein Nachfolger gefunden werden konnte, schliesst die Küttiger Filiale schon Ende Monat. Die «grosse logistische Herausforderung» mit der Produktion an zwei Standorten hätten viel Arbeit abverlangt, schreibt Hans Leutwyler in einem Communiqué. Zuletzt sei die Belastung enorm gestiegen und seine Gesundheit habe stark darunter gelitten.
Ihm habe vor der vielen Büroarbeit auch immer mehr die Zeit gefehlt für das, was ihm wirklich Spass bereite: In der Backstube stehen und seine Leidenschaft als Bäcker ausleben.
Offenbar ist es in der Bäckereiwelt auch immer schwieriger, genügend gutes Personal zu finden, was bei ihm wiederum zu mehr Überstunden geführt habe.
Hans Leutwyler bittet in dem Schreiben deshalb demütig um Verständnis dafür, dass er die Filiale in Küttigen nun aufgibt. Er hoffe, im lokalen Gewerbeverein Nachfolger zu finden für die Schokolade-Spezialitäten wie das «Küttiger Rüebli», die «Küttiger Frösche» und die «Küttiger Trauben».
Nun liegt der Ball wieder bei Thomas Steiner, Besitzer der Liegenschaft und jahrelang so was wie der Star unter den lokalen Bäckern. 2011 hatten er und seine Ehefrau Susanne entschieden, «auf dem Höhepunkt aufzuhören», wie sie damals sagten. Das über 100-jährige Familienunternehmen übergaben sie Regula Nietlisbach und André Steinger.
Fünf Jahre lang haderten diese damit, an der Lage eine anständige Rendite zu erwirtschaften. Die Kundenfrequenz sei einfach zu klein gewesen, sagte Regula Nietlisbach 2016. Dass durch den neuen Staffelegg-Tunnel Küttigen vom Durchfahrtsverkehr befreit wurde, habe dazu beigetragen.
Als die lokale Post dann 2015 schloss, seien die Kundenzahlen «regelrecht eingebrochen». In Küttigen hatte schon 2011 die Bäckerei Kuhn ihre Tore geschlossen gehabt, nach 50 Jahren Arbeit fand der damals 72-jährige Erich Kuhn keinen Nachfolger. Ab 1. Januar 2020 werden also die 6239 Einwohner von Küttigen (Stand Ende Juni) auf gar keine Bäckerei im Dorf mehr zählen können.
Auf Anfrage nennt Thomas Steiner auch die Umfahrung von Küttigen sowie das generell geänderte Einkaufsverhalten der Kunden als Gründe für den schweren Stand der Dorfbäckereien. Wie es in seiner Liegenschaft nun weiter geht, wisse er noch nicht.
Der Rückzug von Hans Leutwyler sei für ihn überraschend gekommen, wie er sagt. Die Infrastruktur der Bäckerei sei intakt, die Geräte relativ neu. An sich müsste wieder ein Beck dort einziehen. «Einen Nachfolger zu finden ist aber praktisch unmöglich, der Markt ist komplett ausgetrocknet», sagt er.
Für die Nachfolge unterstützt ihn die Non-Profit-Organisation «Proback», die sich für die Förderung und Erhaltung des Bäckerei-, Konditorei-und Confiserie-Gewerbes einsetzt. Wie Geschäftsführer Bruno von Rotz erklärt, gäbe es zwar durchaus eine Nachfrage nach kleinen Bäckereibetrieben – wenn auch keine riesige. Das Problem sei aber der Standort dieser Geschäfte.
«Zurzeit suchen landesweit 70 Betriebe einen Bäcker und 90 Bäcker suchen einen Betrieb», sagt er. Doch nicht alle seien bereit, ihr soziales Umfeld aufzugeben und in eine andere Region zu ziehen. «Daran scheitern die meisten Geschäftsübergaben», sagt er, eine regionsinterne Lösung zu finden sei das Schwierige. Während also die Kunden mobiler wurden, sind es offenbar die Bäckereibetreiber, die ihre Region nicht verlassen wollen.