Auenstein
Grosser Sieg des kleinen Mannes: Wie Sämi Richner vor Bundesgericht gegen Gemeinderat gewann

Wegen einer fehlerhaften Einladung zur Gemeindeversammlung zog der ehemalige Grossrat bis ans Bundesgericht, nachdem die Aargauer Instanzen von seiner Beschwerde nichts hielten. Jetzt hat er Recht bekommen.

Nadja Rohner
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Einladung zur Auensteiner Gemeindeversammlung im November 2018

Einladung zur Auensteiner Gemeindeversammlung im November 2018

CH Media

So etwas passiert ganz selten: Das Bundesgericht hat eine Reihe von Beschlüssen der Auensteiner Wintergemeindeversammlung 2018 aufgehoben. Es geht dabei um die Revision der Gemeindeordnung, also der Verfassung. Das Geschäft muss erneut traktandiert werden.

Ausgelöst hat dies eine Beschwerde von Alt Grossrat Sämi Richner. Der Auensteiner war damit sowohl beim kantonalen Departement des Innern als auch beim Aargauer Verwaltungsgericht abgeblitzt. Insofern ist der Entscheid aus Lausanne erstaunlich.

In Auenstein ist das «Gmeindsbüechli» – also die Einladung zur Gemeindeversammlung, die jedem Stimmbürger zugeschickt wird – seit Jahren bloss ein modern gestaltetes, mit vielen Fotos illustriertes A5-Faltblatt. Die Erläuterungen zu den Traktanden sind sehr knapp gehalten. Wer Details will, kann diese – einmalig oder dauerhaft – bei der Gemeindekanzlei anfordern oder online einsehen. Die Erläuterung zum Traktandum 5 an jenem 23. November 2018 bestand aus wenigen Sätzen: «An der letzten Einwohnergemeindeversammlung wurde ein Überweisungsantrag gutgeheissen, mit dem der Gemeinderat verpflichtet wurde, die in der Gemeindeordnung verankerte Mitgliederzahl der Schulpflege von bisher fünf auf neu drei Mitglieder zu reduzieren. Die Revision der Gemeindeordnung stand beim Gemeinderat so oder so auf der Traktandenliste, da er verschiedene Bestimmungen anpassen will.» Was mit diesen «verschiedenen Bestimmungen» gemeint war, schrieb der Gemeinderat nicht. Es fehlte auch ein konkreter Antrag – irrtümlicherweise -, weshalb der Gemeinderat ein paar Tage später einen separaten Brief an die Stimmbürger hinterherschickte: «Die Einwohnergemeinde wolle der revidierten Gemeindeordnung unter Berücksichtigung der vorstehenden Anpassungen a) bis f) zustimmen.»

Bloss: Worum es sich handelt, wussten die Stimmbürger noch immer nicht, sofern sie nicht selber Recherchen unternahmen. Sowohl das Departement des Innern als auch das Verwaltungsgericht hielten das für unproblematisch: Der Gemeinderat könne sich darauf beschränken, die Stimmberechtigen auf die Aktenauflage zu verweisen und die einzelnen Vorgaben an der Gemeindeversammlung zu erläutern, urteilten sie, und wiesen Sämi Richners Beschwerde ab.

«Der Argumentation der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden», stellt das Bundesgericht in seinem am Mittwoch publizierten Urteil nun nüchtern fest: Eine anderweitige Publikation der Unterlagen enthebe die Gemeinde nicht von der Zustellungspflicht. Das geltende Gesetz verlange, dass sich die Stimmberechtigten Anhand der zugestellten Unterlagen ein Bild vom Inhalt und der Bedeutung der traktandierten Geschäfte machen können. «Diese gesetzliche Mindestanforderung wurde vorliegend nicht eingehalten.» Die Stimmberechtigten konnten alleine aus dem «Gmeindsbüechli» und dem nachgeschickten Brief nicht erkennen, dass der Gemeinderat - neben der genannten Änderung der Schulpfleger-Anzahl - auch abstimmen lassen wollte über «politische umstrittene Geschäfte».

Konkret nennt das Bundesgericht hier die vorgesehene Erhöhung der für ein Referendum benötigten Unterschriftenanzahl (von 10 auf 20 Prozent der Stimmberechtigten) und die Übertragung der Einbürgerungskompetenz von der Gemeindeversammlung auf den Gemeinderat. «Die Nennung des einen Antrags und das Verschweigen der übrigen, wichtigen und thematisch völlig anders gelagerten Anträge, führte dazu, dass sich die Stimmberechtigten aus der verschickten Traktandenliste kein Bild über den Inhalt und die Bedeutung der unter Traktandum 5 zu fassenden Beschlüsse machen konnten.» Wegen dieser «mangelhaften Ankündigung der Verhandlungsgegenstände» seien die gefassten Beschlüsse, mit Ausnahme desjenigen zur Anzahl Schulpfleger, ungültig.

Das Verwaltungsgericht wird nun über die Kostenfolge entscheiden müssen. Es ist davon auszugehen, dass Sämi Richner wenig bis gar nichts zahlen muss. In der ersten Runde hatte ihm das Verwaltungsgericht noch Verfahrens- und Parteikosten von über 4000 Franken aufgebrummt.

Das sagt Sämi Richner:

Sämi Richner ist bekannt dafür, dass er sich mit Behörden anlegt, wenn er Ungerechtigkeiten oder Verfahrensfehler bemerkt. Er hat auch an vorderster Front gegen die Erweiterung des Steinbruchs Jakobsberg/Oberegg gekämpft, im Januar aber eine bittere Niederlage einstecken müssen. Umso zufriedener ist er mit der Post aus Lausanne:

«Ich bin hocherfreut über das Urteil des Bundesgerichts. Die Rechtsprechung funktioniert noch in der Schweiz! Es erfüllt mich mit Genugtuung, dass das Bundesgericht genau so entschieden hat, wie ich es an der Gemeindeversammlung verlangt habe. Zugleich bin ich auch traurig, dass zur Korrektur der offensichtlich mangelhaften Einladung zum gewichtigen Traktandum, Änderung der Gemeindeordnung, der Gang bis ans Bundesgericht nötig war. Ich hätte vom Gemeinderat erwartet, als ich ihn, vor Einreichung der Beschwerde auf die gravierenden Fehler aufmerksam gemacht habe, dass er gesagt hätte: «Stimmt, wir setzen das Traktandum ab und bringen es nochmals korrekt an der nächsten Gemeindeversammlung.»

Mir ist aufgefallen, dass der Gemeinderat bei Traktanden, die zu reden geben könnten an einer Gemeindeversammlung, nur sehr mager informiert. Zudem sind die Erläuterungen zu solchen Traktanden im Stile eines PR-Artikels verfasst, welche die Stimmberechtigten dazu verleitet zu denken, da ist alles klar, da gibt es kaum etwas zu ändern, da kann man einfach zustimmen. Nun, beim Traktandum 5 der Gemeindeversammlung vom 23.11.2018 ist die Abmagerung der Informationen definitiv in den roten Bereich gerutscht. Es ist unfair und undemokratisch, wenn der Gemeinderat (Exekutive), das höchste Organ in der Gemeinde, die Gemeindeversammlung (Legislative), nur selektiv ins Bild setzt. Das ist ein Missbrauch seines Wissensvorsprungs mit manipulativem Charakter. Ich erwarte vom Gemeinderat, dass er in Zukunft über Vorlagen transparent und alle Aspekte aufzeigend informiert.»

Das sagt der Gemeinderat:

Der Gemeinderat zeigt sich «von diesem formaljuristischen Urteil enttäuscht», akzeptiere es aber, sagt Ammann Reto Porta. Er sei überzeugt, dass sich die Stimmbürger genügend haben vorbereiten können – das hätten sie auch bestätigt, in dem sie an der Gmeind einen von Sämi Richner gestellten Rückweisungsantrag «im vollen Bewusstsein der Sachlage» klar abgelehnt hätten.

Der Gemeinderat hat am Dienstag entschieden, die Gemeindeordnungsrevision an der Gmeind vom 4. Juni nochmals zu traktandieren - mit dem Unterschied, dass er die im November 2018 abgelehnte Übertragung der Einbürgerungskompetenz nicht mehr beantragt. Über die Schulpflegereduktion muss an der Gmeind nicht erneut abgestimmt werden.

Ob der Bundesgerichtsentscheid Einfluss auf die künftige Gestaltung des «Gmeindsbüechli» in Auenstein hat, muss der Gemeinderat zuerst noch besprechen, sagt Porta. Man habe vor wenigen Jahren entschieden, nur noch einen Kurz-Flyer mit dem Wichtigsten zu versenden: «Einerseits möchten die Stimmberechtigten die Unterlagen nur noch digital im Internet einsehen und andererseits ist es ökologisch nicht sinnvoll, dass bei den tiefen Beteiligungen an Gemeindeversammlungen die teuren Unterlagen vielfach direkt ins Recycling wandern.»
Porta weist auch darauf hin, dass das Bundesgericht die Frage in den Raum gestellt hat, ob das Aargauer Gemeindegesetz diesbezüglich überhaupt noch zeitgemäss ist. «Die Beantwortung dieser Frage obliegt anderen Stellen.»