Aarau
Der Kämpferische mit Gspüri war mehr als 17 Jahre lang Aarauer Stadtrat

Beat Blattner war mehr als 17 Jahre lang Stadtrat. Doch nun ist für den Bezirksschullehrer Schluss. Der 57-Jährige hat den Wandel der Stadt mitgestaltet.

Sabine Kuster
Drucken
Ein Schlussbouquet: Beat Blattner in der frisch renovierten Aula des Pestalozzi-Schulhauses. kus

Ein Schlussbouquet: Beat Blattner in der frisch renovierten Aula des Pestalozzi-Schulhauses. kus

Vor den Fenstern des Rathauses hängen Lichtergirlanden. Hinter den Fenstern schreiten die Stadträte das Treppenhaus hinunter wie durch einen Adventskalender. Die montägliche Sitzung ist zu Ende, sie werden im Einwohnerrat oben am Aargauerplatz erwartet. Die Stadträte Ganz, Pfisterer, Urech treten auf die Gasse. Wo ist Blattner?

Man wartet ab und zu auf Beat Blattner. Aber wenn er da ist, ist der ganze Mann da, in seiner voller Grösse und Präsenz. Jetzt fährt er um die Ecke, er hat den Hinterausgang durch den Velokeller genommen.

Über 17 Jahre lang war er im Rathaus. Wobei, er würde widersprechen: «Wir Stadträte haben im Rathaus ja nicht mal einen eigenen Computer», sagte er manchmal. Stadtrat, das sei er morgens vor der Arbeit als Bezirksschullehrer und nach Feierabend gewesen.

Harziger Start in den 90ern

Im März 1996 wurde Beat Blattner anstelle von Urs Hofmann in den Stadtrat gewählt. Hauchdünn. Auch die erste Wiederwahl 1998 schaffte er mit nur fünf Stimmen über dem absoluten Mehr.

Die Glanzresultate kamen später. Die 90er-Jahre waren schwierig. Als SP-Mann schaffte er den Einzug ins Rathaus eigentlich erst im zweiten Anlauf.

«Wegen des Brunnereffekts», sagt Blattner. 1993 war Christiane Brunner nicht in den Bundesrat gewählt worden, bei der Stadtratswahl ein Jahr später in Aarau musste eine Frau her.

Aus dem Einwohnerrat trat er nach nur vier Jahren damals dennoch aus. «Das Politisieren im Parlament war nichts für mich. Ich bin einer, der mitentscheiden will und dafür auch die Verantwortung trage.»

Als er zwei Jahre später dann doch in der Exekutive sass, entschied der Stadtrat oft nicht in seinem Sinne. Die Linken waren in der Minderheit. «Eine harte Zeit», sagt Blattner. Auch finanziell. Die 90er waren magere Jahre für Aarau, investiert wurde kaum.

Diskutieren lohnte sich plötzlich

2001 kamen die sieben fetten Jahre. Politisch konnte Blattner nun zusammen mit Ganz und Urech sowie Mettauer (CVP) als Zünglein an der Waage auch mal gewinnen. «Es lohnte sich plötzlich zu argumentieren im Stadtrat», sagt Blattner.

Finanziell wurde es ebenfalls einfacher für ihn: Die Stadt wandelte die Industriellen Betriebe in die IBAarau AG um und kam so zu 70 Millionen flüssigen Mitteln, gleichzeitig stiegen die Steuereinnahmen insbesondere bei den Aktiensteuern massiv.

Als Ressortverantwortlicher Hochbau gab es plötzlich viel zu tun. Das Rathaus wurde saniert, die Sportanlage Schachen und der Aareraum West gebaut, das Pestalozzischulhaus saniert, die Bau- und Nutzungsordnung revidiert. Daneben war das Torfeld Süd ein Dauerbrenner.

Im Scheibenschachen wurde der Ensembleschutz überarbeitet. Blattner machte sich nicht nur Freunde. Er sagt, es sei jetzt gut, dass neue Verhandlungspartner kämen, auf beiden Seiten. Aber parteiisch, das sei er nicht gewesen. «Man kann sich gar nicht für die eine oder andere Seite einsetzen, sonst erleidet man Schiffbruch – trotzdem ist es schwierig, den goldenen Mittelweg zu finden.»

Niederlagen gab es auch in den fetten Jahren. Aber er sagt: «Auch das Negative ist zu ertragen. Man muss ein Stehaufmännchen sein, sonst wacht man um fünf Uhr morgens auf und denkt: Warum geht es nicht?»

Beim Stadionprojekt gelang das dem leidenschaftlichen Schieds- und Linienrichter und Präsident des Verwaltungsrates der Stadion Aarau AG nicht immer. «Dass der Mittellandpark bachab ging, war noch nachvollziehbar. Aber dass man jetzt das Verfahren immer noch weiter zieht und Entscheide nicht akzeptiert, hat mich oft geärgert.»

In Wahrheit sehr einfühlsam

Blattner hat sich für das Gespräch mit der az aus der letzten Einwohnerratssitzung geschlichen. Es liess sich kein anderer Termin finden.

Seine Agenda ist voll mit Geschäften, die er noch abschliessen oder zumindest übergabefähig machen muss. Er wirkt bestimmt und spricht mit tiefer Stimme. Kollege Carlo Mettauer sagt, durch seine starke physische Präsenz wirke Blattner manchmal fast wie ein Polteri, dabei stimme das nicht: «Er ist sehr einfühlsam und überlegt, in dem was er sagt.»

Die künftige Stadtpräsidentin Jolanda Urech sagt: «Ich werde seine kämpferische und humorvolle Art vermissen.» Er habe bevölkerungsnah, pragmatisch und bodenständig politisiert. Dass Blattner nahe bei den Leuten war, bestätigt Rolf Portmann, Kinoinhaber und Feuerwehrmann. Als Kommissionspräsident der Feuerwehr habe Blattners Führung dem Teamgeist gut getan.

Und es tat seinem Ruf gut. Blattner wurde ein beliebter Stadtrat: Nach dem harzigen Start wurde er 2001 und 2005 zweimal mit dem deutlich besten Wahlresultat gewählt.

Deswegen kandidierte er 2009 fürs Präsidium. Während des Wahlkampfs war die Stimmung kühl im Rathaus. Zwei erfahrene Politiker unterschiedlicher Charaktere standen sich gegenüber.

Marcel Guignard und Beat Blattner sind eine lange Wegstrecke zusammen gegangen. Sie blieben auch danach fair. Guignard sagt heute: «Beat Blattner ist ein offener, direkter, zupackender Kollege mit einem grossen Engagement.»

Stolz aufs Pestalozzischulhaus

Und sein zweiter Mitstreiter, Felix Fuchs? War ein starker Stadtbaumeister Glück oder Pech? «Für die Stadt ist er ein Glück», sagt Blattner. Und persönlich habe er es gut mit ihm gekonnt.

Fuchs sagt: «Beat Blattner ist zielstrebig und bestimmt, aber auch kooperativ und offen. Er hat stets andere Überlegungen und Fachmeinungen konsultiert und sich dann positioniert.» Er sei ein starker Vertreter von nachhaltigen Bauten.

Eine der schönsten Bauten aus seiner Amtszeit ist noch nicht ganz fertig: Drei Tage nach der Einwohnerratssitzung steht Blattner im Pestalozzischulhaus in der prunkvollen Aula, legt den Kopf in den Nacken und lacht.

Die Decke ist wunderschön restauriert. «Die emotionalen Werte sind eben auch nicht ganz gratis. Die Stadt profitiert davon wie auch von der Ausstrahlung des Aareufers beim Summertime.»

Er ist ein Linker geblieben, Beat Blattner. Auch wenn er als rechts der Parteimitte gilt und sagt: «Ich gehöre nicht der SP, ich habe nie die Erlaubnis eingeholt, bei dem was ich entschieden habe. Andererseits spürte ich auch ein Vertrauen seitens der Partei.»

Ab Januar ist er nur noch für den eigenen Hochbau zuständig: In Rombach baut er auf dem elterlichen Grundstück ein neues Haus für sich und seine Partnerin. «Man wird schnell vergessen», sagt er, «das ist nicht negativ.»