Aarau
Aufstehen statt Ja-Knopf: Warum der Einwohnerrat nicht elektronisch abstimmt

Der Aarauer Grossratssaal, wo auch der Einwohnerrat tagt, verfügt über ein elektronisches Abstimmungssystem. Warum werden im Stadtparlament die Stimmen (noch) mittels «Aufstehen und Sitzenbleiben» abgegeben und von Hand ausgezählt?

Nadja Rohner
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So sehen die Schalter im AarauerGrossratssaal aus. Keystone

So sehen die Schalter im AarauerGrossratssaal aus. Keystone

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Was haben der Aarauer Einwohnerrat und der Deutsche Bundestag gemeinsam? Ganz einfach: Sie kennen kein elektronisches Abstimmungsverfahren, nur das «Aufstehen und Sitzenbleiben».

Das kann mitunter zu chaotischen Zuständen führen, wie an der letzten Budget-Debatte im Einwohnerrat Aarau. Kaum eine Stimmenauszählung klappte beim ersten Mal, einzelne Abstimmungen mussten drei Mal wiederholt werden. Der Bundestag kennt für solche Situationen den sogenannten «Hammelsprung».

Er wird dann angewandt, wenn sich der Sitzungsvorstand über das Ergebnis einer Abstimmung nicht sicher ist und auch die Gegenprobe keine Klarheit bringt. Beim Hammelsprung verlassen die rund 600 Bundestagsmitglieder allesamt den Plenarsaal, bevor sie ihn – einer nach dem anderen – durch eine von drei Türen betreten. Jede Tür steht entweder für «Ja», «Nein» oder «Enthaltung».

Der Aarauer Grossratssaal, wo auch der Einwohnerrat tagt, verfügt leider nur über zwei Türen – dafür aber über ein elektronisches Abstimmungssystem. Da drängt sich die Frage auf: Warum nutzt der Einwohnerrat die praktischen Schalter nicht?

Ein Rückblick

Natürlich ist der Einwohnerrat schon selber auf diese Idee gekommen. Im Februar 2006 wollte der damalige Einwohnerrat Philipp Bonorand (SVP) vom Stadtrat wissen, warum man die im Vorjahr installierte Anlage nicht nutze. Man habe zunächst die Erfahrungen aus dem Grossen Rat abwarten wollen, so die Antwort von Stadtammann Marcel Guignard. Technisch sei eine Nutzung möglich, der Einwohnerrat müsse darüber entscheiden.

Im Januar 2008 stand die Angelegenheit zur Abstimmung auf der Traktandenliste des Einwohnerrats. Allerdings sagte die damals amtierende Einwohnerratspräsidentin Lotty Fehlmann Stark (SP) vor der Beschlussfassung: «Ich bin davon ausgegangen, dass mit der elektronischen Stimmabgabe jederzeit ermittelt werden kann, wer wie abgestimmt hat.»

Dies sei aber nicht der Fall. Denn: Die Anlage ist für die 140 Mitglieder des Grossen Rats eingerichtet. Jedes Ratsmitglied hat drei ihm persönlich zugewiesene Knöpfe zur Auswahl. Weil der Aarauer Einwohnerrat nur aus 50 Mitgliedern besteht, kann die Anlage nicht ohne weiteres benutzt werden. «Wir können lediglich die Anzahl der Ja- und der Nein-Stimmen ermitteln. Die Enthaltungen müssten manuell berechnet werden. Wir wissen aber auf jeden Fall nicht, wer wie abgestimmt hat.»

Der Vorteil der Anlage sei, dass die Ja- und Nein-Stimmen jeweils genau ermittelt werden könnten. Allerdings sei so die Stimmabgabe für die auf der Tribüne sitzenden Zuschauer weniger transparent, so die Ratspräsidentin damals. Für eine personifizierte Stimmenauswertung – eine, bei der wie im Grossen Rat jeder Knopf einem Einwohnerratsmitglied zugewiesen ist – müsste die Software angepasst werden. Dies würde die Stadt «einen fünfstelligen Betrag» kosten, hiess es.

Das sei zu viel, erklärte damals Einwohnerrat Marc Dübendorfer (SVP) ebenfalls vor der Abstimmung. Seine Partei habe mit dem Vorschlag für die elektronische Stimmabgabe ja eben gerade mehr Transparenz herbeiführen wollen; so, wie es im Grossen Rat Usus sei und wegen der personifizierten Abstimmungs-Tasten funktioniere. Er zeigte sich «als EDV-Laie» erstaunt über die hohen Kosten. «Wenn die Systemanpassung tatsächlich einen fünfstelligen Betrag kostet, ist dies zu teuer.» Das sahen auch die meisten anderen Einwohnerräte so: Sie verzichteten mit 34 Nein- zu 12 Ja-Stimmen auf die Einführung der elektronischen Stimmabgabe.

Abklärungen laufen erneut

Heute, fast acht Jahre später, hat das Ratsbüro das Thema wieder auf der Agenda. «Wir klären derzeit ab, wie viel eine Umprogrammierung der Software heutzutage kosten würde», sagt Vize-Stadtschreiber Stefan Berner. Es sehe aber danach aus, als ob dies immer noch mehrere Tausend Franken kosten würde. «Da stellt sich die Frage, ob sich das für neun bis zehn Einwohnerratssitzungen pro Jahr lohnt», sagt Berner, «zumal viele Abstimmungen so eindeutig sind, dass ein Nachzählen nicht notwendig ist».

Voraussichtlich werde der Einwohnerrat aber im Jahr 2016 erneut darüber abstimmen können, ob sie ihre Stimmen künftig elektronisch abgeben wollen.